19.07.2025

Taiwan Today

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Wiedersehen macht Freude

01.11.1998

Schmidt (* 1918) folgte dieses Mal der Einladung zweier privater Organisationen in Taiwan. Am Tag nach seiner Ankunft am 30. Oktober besuchte Schmidt zunächst das Nationale Palastmuseum im Taipeier Vorort Waishuanghsi. Das eigentliche Programm bestand jedoch aus drei Vorträgen sowie Begegnungen mit Spitzenpolitikern der Republik China.

Den Auftakt bildete am 1. November ein Vortrag im Grand-Hotel Taipei vor rund dreihundert einheimischen Jugendlichen über seine Erfahrungen als Regierungschef 1974-1982 und die Herausforderungen des kommenden Jahrhunderts.

Schmidt brachte dabei seine Überzeugung zum Ausdruck, daß China in den kommenden fünfzig Jahren wiedervereinigt werden würde. Die Wiedervereinigung Chinas sei leichter zu bewerkstelligen als eine Wiedervereinigung der beiden Staaten auf der koreanischen Halbinsel. Die Möglichkeit einer Unabhängigkeit Taiwans verwarf Schmidt jedoch als "undenkbar". Die Jahrtausende gemeinsamer Geschichte und gemeinsamer Kultur auf beiden Seiten der Taiwanstraße könnten nicht einfach ausradiert werden.

Premierminister Vincent Siew(蕭萬長), der den früheren Bundeskanzler zu einem 70minütigen Gespräch in seinem Amtszimmer empfing, bekräftigte Schmidts These von der Unmöglichkeit einer staatlichen Unabhängigkeit Taiwans, fügte jedoch hinzu, daß es bisher keinen konkreten Zeitplan für eine Wiedervereinigung Taiwans mit dem chinesischen Festland gebe. Eine solche Wiedervereinigung dürfe auch nicht mit Waffengewalt erzwungen werden, sondern könne nur unter friedlichen Vorzeichen durchgeführt werden, betonte Siew. Eine weitere Vorbedingung für eine Wiedervereinigung ist eine Demokratisierung der bisher totalitär beherrschten Volksrepublik China.

In dieser Hinsicht zeigte sich Schmidt optimistisch: Er erwartet, daß der Demokratisierungsprozeß auf dem chinesischen Festland ähnlich verlaufen werde wie in Taiwan -- wenn auch wegen der enormen Größe des Landes langsamer. Voraussetzung für eine Demokratie auf dem Festland sei jedoch der Aufbau einer funktionierenden Wirtschaft.

Schmidt hält dieses Ziel aber für erreichbar und prophezeit China, dem mit derzeit 1,2 Milliarden Menschen bevölkerungsreichsten Land der Erde, in wirtschaftlicher Hinsicht eine große Zukunft: Im Jahre 2025 werde der Renminbi -- die Währung der VR China, bis heute nicht frei konvertierbar -- neben dem Euro und dem US-Dollar zu den drei dominantesten und mächtigsten Währungen der Welt gehören. Eine ähnlich starke Rolle des japanischen Yen hält Schmidt wegen der Wirtschaftsprobleme Japans für wenig wahrscheinlich.

Der Weg in die Zukunft könnte nach Schmidts Ansicht für die VR China jedoch auch steinig werden. In der Tat ist das Bevölkerungswachstum auf dem chinesischen Festland besorgniserregend: Experten erwarten in den kommenden 25 Jahren eine Zunahme der Bevölkerung Chinas auf 1,5 Milliarden Menschen. In seinem zweiten Vortrag "Betrachtungen über die Entwicklung von Wirtschaft und Wissenschaft in Deutschland anhand des Umweltschutzes" hob Schmidt den Zusammenhang zwischen Umweltproblemen und Bevölkerungsexplosion hervor; ein Schlüssel für die Lösung von Umweltproblemen sei die Eindämmung des Bevölkerungswachstums. Dieses Problem hatte Schmidt übrigens schon während seines ersten Taiwanbesuches im März 1992 zur Sprache gebracht.

"Wenn die Entwicklungsländer den Umweltschutz nicht ernst nehmen, können die globalen Umweltprobleme nicht gründlich gelöst werden", unterstrich Schmidt. Die größten Umweltprobleme, die es im kommenden Jahrhundert zu lösen gelte, seien Treibhauseffekt und Luftverschmutzung sowie die Verseuchung der Weltmeere. Dazu müßten praktische Umweltschutzmaßnahmen ergriffen und das Bevölkerungswachstum unter Kontrolle gebracht werden. Die entwickelten Staaten sollten den Entwicklungsländern beim Umweltschutz zur Seite stehen, damit diese ihre Ressourcen effektiver nutzen könnten, und dabei auch Umwelttechnologie weitergeben. Deutschlands Umwelttechnologie ist bekanntermaßen hochentwickelt, und Schmidt wies darauf hin, daß Deutschland dreimal mehr Umwelttechnik verkauft als die anderen EU -Staaten zusammen. "Investitionen in den Umweltschutz sind ökonomisch sinnvoll", warb Schmidt.

Im Mittelpunkt von Schmidts drittem Vortrag standen Währungsfragen. Als Bundeskanzler hatte Schmidt in den siebziger Jahren gemeinsam mit Frankreichs damaligem Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing (* 1926, frz. Staatspräsident 1974-81) politisch den Boden für eine gemeinsame europäische Währung vorbereitet, und während Schmidts Amtszeit wurde 1979 das Europäische Währungssystem (EWS) eingeführt. Der stellvertretende Vorsitzende des Rates für Wirtschaftsplanung und-entwicklung der Republik China (Council for Economic Planning and Development , CEPD), Shive Chi, stimmte Schmidts Ansichten zu und erklärte, der Euro werde die einzige Währung werden, die sich mit dem US-Dollar werde messen können, und der Euro werde das Monopol des US-Dollars auf dem Weltmarkt brechen.

Neben seinen Ausführungen über die Einführung des Euro übte Schmidt im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Finanzkrise in Asien auch Kritik an der Rolle des Internationalen Währungsfonds ( International Monetary Fund, IMF). Schmidt, der von 1972 bis 1974 das Amt des Finanzministers der Bundesrepublik Deutschland bekleidet hatte, empfahl den asiatischen Ländern, ihre Probleme möglichst selbst zu lösen und sich nicht auf die Rettungsmaßnahmen des IMF zu verlassen, die sich in Rußland und Indonesien überdies als recht wirkungslos erwiesen hätten. Er bezweifelte auch die Neutralität des IMF, der zu 90 Prozent unter US-amerikanischem Einfluß stünde.

Taiwan habe sich in der Krise aber sehr gut behauptet, lobte Schmidt. "Wegen der großen Devisenreserven und der guten Kontrolle über das Bankwesen waren die Auswirkungen in Taiwan und Singapur relativ gering."

Helmut Schmidts Besuch in der Republik China ist vor dem Hintergrund des Regierungswechsels in der Bundesrepublik Deutschland besonders bedeutsam, zumal der Hamburger Sozialdemokrat heute vielen Politikern im In- und Ausland als Vorbild dient. Die Bundesrepublik Deutschland ist zudem der größte Handelspartner Taiwans in Europa -- 1997 hatte der bilaterale Handel einen Umfang von 9,06 Milliarden US$.

Vor Schmidts Rede im Grand-Hotel erklärte der Vizepräsident der Republik China, Lien Chan(連戰), in einer Grußadresse, es gebe indes noch mehr Spielraum für Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit, und Taiwan sei als Sprungbrett Deutschlands zu asiatischen und pazifischen Märkten geeignet. Lien enthüllte die Nachteile von Investitionen auf dem chinesischen Festland und erinnerte an die Vorteile der Kooperation mit kleinen und mittleren Unternehmen in Taiwan. Der Vizepräsident appellierte außerdem an Deutschlands neue Regierung, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Republik China zu verstärken. Die Nutzung der geopolitischen Lage, finanziellen Stärke und anderen Vorteile Taiwans berge noch mehr Handelsmöglichkeiten für Deutschland in Asien.

Am 3. November traf Schmidt mit dem Präsidenten der Republik China auf Taiwan, Dr. Lee Teng-hui(李登輝), zusammen. Im Mittelpunkt des Gesprächs standen vor allem die Folgen der Asienkrise in Taiwan und die Situation in Deutschland nach der Wiedervereinigung. Lee begründete die verhältnismäßig geringen Auswirkungen der Krise auf Taiwan damit, daß die Insel neben einer fundamentalen wirtschaftlichen Stabilität auch ein demokratisches System besitzt. Lee erläuterte seinem Gast auch die Regierungsstruktur der Republik China mit seinen fünf Gewalten (Yuans) und die gegenwärtig im Gange befindliche Straffung der Verwaltung durch Verkleinerung der Provinzregierung Taiwan. Diese Maßnahmen wurden bereits im vergangenen Jahr eingeleitet und sollen die Effizienz der Regierung und Taiwans Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, so daß die Republik China zukünftigen Wirtschaftsturbulenzen in Asien und der ganzen Welt gelassen entgegensehen kann.

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